Mittwoch, 12. April 2006

Tschingderassabumm

In dem Musikkreis, in den ich (bzw. die Kindsmutter) mit meiner Tochter gehe, wird bisweilen folgendes Lied gesungen:

Ich habe eine Ziehharmonika,
eine Tschingderassa, Tschingderassa bum bum bum.
Sie spielt uns immer wieder
die allerschönsten Lieder.
Ich habe eine Ziehharmonika,
eine Tschingderassa, Tschingderassa bum bum bum.

Das ist so nicht ganz korrekt. Ich gebe ja durchaus zu, mich nicht immer vollständig in unserer Wohnung auszukennen – letzte Woche fand ich einen Aufkleber, der besagt, dass in diesem Behälter (auf dem er zu kleben kommen könnte) sich stark infektiöse Güter befinden. Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung, wozu wir so etwas benötigen. Immerhin weiß ich aber nun, dass wir solch einen Aufkleber haben, wenn ich mal brauchen sollte. Auch wenn ich nicht weiß, wo ich ihn ablegen soll, seit ich meine Aufkleberschublade mit 15 auflöste (ein Fehler, wie ich nun leidvoll eingestehen muss!).

Man kann mir also durchaus nachsagen, ich wüsste nicht über alle in unserem Haushalt befindlichen Dinge Bescheid, aber ich denke doch, das Vorhandensein einer Ziehharmonika wäre mir nicht unverborgen geblieben. Zumal genannte Ziehharmonika ja auch häufig zum Einsatz kommen soll. Ich kann mir das nur so erklären (da ich keinen Grund dafür sehe, warum die Leiterin der Gesangsrunde, die ich als durchaus anständig und integer kennen und schätzen gelernt habe, wissentlich die Unwahrheit sagen und Falschaussagen über unseren Haushalt in Umlauf bringen sollte), dass sich in meiner Abwesenheit Ereignisse ereignen, von denen ich nicht in Kenntnis gesetzt werde. Denn das „Ich“, das da singt, ist ja jeweils der (meist die) Singende oder vielmehr, stellvertreten durch mich, das Kind, das ja noch nicht singen kann und vor unseren Bäuchen hin und her getragen und geschunkelt wird. 

Wie dem auch sei, schon statistisch ist das wohl kaum korrekt, um so weniger in der grob pauschalisierenden Behauptung, jeder von uns hätte eine Ziehharmonika.

Noch dazu, und hier verlässt das Lied vollends den Boden der als gesichert betrachtbaren Tatsachen, eine Ziehharmonika, die „tschingderassabum“ macht (die Theorie, dass es sich um eine Ziehharmonika der Marke „Tschingderassabum“ handeln solle, halte ich für grotesk). 

Ziehharmonikas machen nicht „tschingderassabum. Das ist das Geräusch, das nach allgemein (allgemein? offensichtlich nicht) akzeptierter Konvention Blaskapellen zu machen pflegen. Ziehharmonikas machen so etwas wie „schnäh-fnöhr“

Nun sehe ich ein, dass die Behauptung, ich (respektive meine Tochter) hätte eine Blaskapelle, die uns immer wieder die allerschönsten Lieder spiele, zwar mit Hinblick auf die behauptete Eigeninitiative der Blaskapelle plausibler scheint (immerhin ist diese ja in der Lage, selbst zu spielen, im Gegensatz beispielsweise zu einem Klavier, oder einer Harmonika (ganz zu schweigen von einer Ziehharmonika)), jedoch als absolut aus der Luft gegriffen erscheinen muss und rein statistisch vollkommen jeder Grundlage entbehrt. Tatsächlich sind wesentlich mehr Bundesbürger im Besitz einer Ziehharmonika als einer Blaskapelle, soweit hat das Lied die Zusammenhänge schon ganz richtig erfasst.

Es müsste also heißen:

Ich habe eine Ziehharmonika,
eine Schnäh-fnöhr, Schnäh-fnöhr, Schnäh-fnöhr fnöhr.

Weil sich das aber relativ scheiße singt, opfert das Lied ein zweites Mal Genauigkeit und Wahrheitstreue und fügt der an sich schon dreisten Behauptung, ich besäße eine Ziehharmonika noch – die Tatsachen vollends verdrehend – hinzu, diese Ziehharmonika mache Geräusche wie eine Blaskapelle und sei (Gipfel der Unverschämtheit!) obendrein noch in der Lage, Lieder selbständig abzuspielen

Es ist mir unbegreiflich, wie man solch offensichtlich falsche Aussagen wiederholt in der Öffentlichkeit tätigen kann, und ich verstehe auch nicht, warum wir das immer wieder mit fröhlichen Mienen tun. Es ist ja nicht so, dass dort verantwortungsloses und oder zwielichtiges Gesindel versammelt wäre. Eigentlich sind es eher recht respektable Persönlichkeiten - manche von uns dürfen sogar wählen!

Aber schließlich haben wir das Geld für den Kurs schon voll bezahlt. Und irgendwie hat niemand den Mut, diesem Tun Einhalt zu gebieten, hinzugehen und zu sagen:

Haltet ein!
Seht Ihr nicht die Falschheit unseres Tuns? 
Gehet hin und bestimmet basisdemokratisch im Stuhlkreis, was wir denn sonst singen könnten!

Das aber tat natürlich niemand. War ja auch nicht so wichtig. Aber trotzdem bin ich seitdem immer ganz still und nachdenklich, wenn die Rede darauf kommt, wie ich mich unter Honecker oder Hitler verhalten hätte.

4 Kommentare:

Shopgirl hat gesagt…

Du hast ja einen Vollschaden!!!!!!!!!!!

die Tante Jensen hat gesagt…

@ShopGirl: Ist das jetzt ein Kompliment oder eine Beleidigung von jemandem, der sich ShopGirl nennt? Oder kann man davon ausgehen, dass ShopGirl, wenn Sie den ironischen Sprachduktus des Artikels nicht versteht, auch selbst keine Ironie verwendet? Und wenn es eine Beleidigung sein soll, nehm' ich das dann als Kompliment?
Ich glaub schon.

Anonym hat gesagt…

Ich kann ShopGirls Meinung bestaetigen.

die Tante Jensen hat gesagt…

Das sind dann ja schon 2 Komplimente!
Und eines von einem anonymen Verehrer!

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Aha, Sie sehen das also anders oder auch so? Wie genau?

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