Dienstag, 13. April 2010

Die Sache mit dem Missbrauch

Nachts, wenn die Tante nicht schlafen kann (und das Nichtschlafen tut sie ziemlich oft, weil sie öfter mal krank ist), denkt sie manchmal nach. Da sie in letzter Zeit oft nicht schlafen konnte, hat sie auch viel nachgedacht, so viel, dass es für mehrere Einträge reicht.

Was dabei herausgekommen ist, ist die Idee, dass sich bei dem Umgang mit sexuellen Missbräuchen seitens der katholischen Kirche eine unglückliche Mischung zweier Kernelemente des Katholizismus zur Wirkung bringt: einerseits der Gedanke der Vergebung, andererseits das merkwürdige Verhältnis zur Sexualität. Da der Sex mehr zieht, fangen wir heute mit der Vergebung an.

Die großartige Leistung des Jesus von Nazareth bestand darin, einen Ausweg aus der Spirale von von Gewalt und Gegengewalt, Rache und Gegenrache zu finden: die Vergebung. Er fand damit einen Ausweg aus der Sorte von Streitigkeiten, die meist aus Nichtigkeiten erwachsen und zu lang gehegten und liebgewordenen blutigen Stammesfehden eskalieren können.

Ein Beispiel aus dem Kindergarten: Paul geht an Nina vorbei, stößt sie unabsichtlich an, Nina verrutscht der Buntstift und das Bild ist versaut. Nina ist sauer und haut Paul. Damit ist für sie Gerechtigkeit hergestellt. Wenn nun Paul, der sich ja keiner Schuld bewusst ist, seinerseits zurückhaut, kommt die Sache richtig in Schwung und hört wahrscheinlich auch gar nicht mehr auf.

Viele Konflikte zwischen Erwachsenen sind davon nicht prinzipiell verschieden, nur haben Erwachsene gelernt, fester zuzuhauen. Zwar gibt es auch echte Verteilungskonflikte, wenn etwa das Land nicht für alle reicht, aber ein Punkt ist immer da: alle glauben sich im Recht.

Jesus Lösung bestand nun darin, für einen Verzicht auf de Rache zu werben, in dem er hervor hebt, dass wir alle Fehler haben. Diese Lösung ist auch deswegen so genial, weil sie derjenigen, die sich als Opfer fühlt, noch eine andere Lösung anbietet, als zurückzuhauen: Sie muss ihr Los nicht ertragen, sondern kann aktiv dem anderen vergeben und sich dabei auch gleich unglaublich gut fühlen. Die Klügere gibt nach.

Der einzige andere Ausweg aus der Spirale ist übrigens noch besser: eine unabhängige dritte Partei anzurufen, die fähig und gewillt ist, ihr Urteil, dass alle akzeptieren, auch durchzusetzen. Dieser Weg hat den Nachteil, dass er in den meisten Gesellschaften und Konflikte nicht zugänglich ist. Er hat darüber hinaus in den Augen der Kirche den Nachteil, dass er nicht von Jesus erfunden wurde: er ist das Konkurrenzprodukt.

Die Nachfolger Christi taten nun den wirtschaftlich genialen Schritt, dass ganze so zu verfeinern, dass die Vergebung auch von Gott vorgenommen werden kann, bestätigt durch sein Bodenpersonal, auf Wunsch auch schriftlich. Durch die Konzentration auf das Seelenheil gelangt die Konfliktbeendung aus dem Blick: wichtig ist das Gott vergibt, nicht, dass die Parteien sich vertragen. Es ist dieser Aspekt, durch den sich das Christentum so schön als Staatsreligion eignete: so lange man einmal im Monat dem Priester alles erzählt, kann man ansonsten ruhig die völkerrechtliche Sau rauslassen. Wir sind ohnehin alle Sünder und gar nicht fähig, nur gut zu handeln - da kommt es auf 100 000 Tote mehr oder weniger gar nicht an.

Der Protestantismus lässt die Absolution durch den Priester übrigens nicht zu: so muss sich Frau Käßmann öffentlich kasteien und selbst zerfleischen, während die katholischen Bischöfe es schon für ausreichend halten, wenn sie jeder eine Kerze anzünden.

Durch die Konzentration auf den Täter gerät allerdings auch das Leid des Opfers in den Hintergrund: es ist wichtiger, dass der arme Sünder nicht ins Fegefeuer muss (bzw. musste, die Vorhölle ist ja nun abgeschafft), als dass dem Opfer Gerechtigkeit widerfährt. Das passiert dann ohnehin im Himmel. Überhaupt ist die Erde ja eh ein Jammertal und das Leid allgegenwärtig und Leiden aushalten ja auch eigentlich supergut, wenn man dabei nur fleißig an Gott glaubt, das gibt dann ordentlich Märtyrerbonuspunkte, die man nachher beim Jüngsten Gericht eintauschen kann.

Und überhaupt ist körperliche Gewalt in katholischen Einrichtungen wahrscheinlich auch genau dass, was katholische Hochwürdenträger selber als Jungen in katholischen Einrichtungen erlebt haben - und das hat ihnen schließlich auch nicht geschadet.

So weit bis hierhin. Beim nächsten Mal: warum Jesus angeblich nicht gepimpert hat.