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Donnerstag, 14. November 2013

Mundart in der Hochliteratur (revisiert)

Ich selber hab da seit Jahren ein lustiges Hobby – andere würden es eher einen Defekt nennen. Ich suche falsche Reime und versuche sie auf den Dialekt der Dichter zurückzuführen.
Das geht ganz einfach und kann auch jeder selber zu Hause nachmachen.
Es gibt da ganz klassische Beispiele aus der deutschen Klassik (Wortspiel!).
Und wenn schon, dann legt man sich am besten mit den größten an:

Goethe, Faust

Also, das Gretchen ist schwanger und ledig und alles ist Mist. Was macht sie? Sie betet zu Maria:

Ach neige, du Schmerzensreiche,
dein Antlitz gnädig meiner Not.

Aus dem, was dann folgt wird klar, dass sich neige eigentlich auf Schmerzensreiche reimen soll. Tut es aber nicht! Tut es eben doch. Goethe war e Frangfordder Bub, und so hadd er auch Gebabbeld und gereimd: 

Ach neische, du Schmerzenreische,
Dein Antlitz gnädisch meinä Nohd.


Und schon stimmt's! Ich find die Stelle so auch viel besser.
Der andere große Klassiker kann das auch:

Schiller, Ring des Polykatres

Er stand auf ...
Dies alles ist mir untertänig,
begann er zu Ägyptens König -
ihr seht, da haut der Reim nicht hin.
Das könnte ja daran liegen, dass Schiller eine Schwabe war.

Schwäbisch iss e granademäßig schweri Sprooch. Des isch de Hammer. Nee, ehrlich, das einzige, womit Schwaben nicht geizen sind Vokale. Naja, Vokale und Scheuerpulver. Aber vor allem Vokale. 
 
Hier bei uns im Saarland wird beides tatsächlich zu Ä. Deswegen sind ja auch Speisekartenautoren von Perl bis hinter Frankfurt der Meinung, es gebe so etwas wie Dürrfleisch. Der Rest denkt, das Ä wär ein Ö, und es wäre eigentlich Dörrfleisch. Es ist gedörrt, d. h. getrocknet. Und nicht dürr.
Ist das bei den Schwaben auch so?

Des isch mr alles underdänig
Begann er zu Ägibtns nig 
 
Klappt also auch nicht.
Bei den Schwaben wird Ö nicht zu Ä. Bestenfalls zu E.
Dann kam mir irgendwann der Verdacht, dass Schiller hier nicht Dialekt geschrieben hat, sondern Standardsprache – naja das, was es damals gab. Es gab ja noch keine Standardsprache. Aber es gab einen Dialekt, den alle für vorbildlich hielten. Einen Dialekt, der allgemein als das Ideal eines verständlichen, schönen Deutsches galt: Sächsisch.
Nuu, unser schönes Sochsn stand damals noch in voller Blüte, nuwor: Dresdner Frauenkirche, Leipziger Allerlei.
Na, dann probieren wir's mal:
Des alles ist mir unterteenisch
Begann er zu Ägypten Keenisch, nuwor.

Hm. Klappt auch nicht.

Aber es gibt auch noch andere schöne Beispiele:
Ist ja bald Weihnachten. Irgendwie zählt die Zeit von Ende Oktober bis Anfang Dezember gar nicht mehr, das könnt man eigentlich gleich abschaffen. Wetter ist eh scheiße.
Also, Weihnachten:

Morgen, Kinder, wird's was geben,
Morgen werden wir uns freu'n!
Welch ein Jubel, welch ein Leben
Wird in unsrem Hause sein!
Einmal werden wir noch wach,
Heissa, dann ist Weinachtstag!

Nee, eben Weihnachtstach. Und der Autor ist bestimmt eher aus dem Norden Deutschlands? Genau, aus Berlin. Und auch im Berlinischen wird G am Wortende hinter A, O und U zu CH, Richtig müssten die letzten beiden Zeilen also auf Berlinisch heißen:
Einmal werden wir noch wach, ja!
Heissa, dann ist Weinachtstach, ja!
Danach iss dit ooch ma wieda jut, wa, Mensch, hör mir uff!

Ein' hab ich noch!

Ich bin ja glühender Atheist. Aber ich pflege natürlich alle Weihnachtstraditionen, die ich nur irgendwie erwischen kann. Wir haben eine Adventskranz, und wir singen auch:

Freut euch, Ihr Christen!
Freuet Euch sehr.
Schon ist nahe der Herr.


Der Herr? Ja wohl eher der Heer, oder? Bzw. der Heeo. Und so hatte ich gehofft, hier einen nördlicheren, bevorzugt Münsterländischen Dichter, naja: Autor, versteckt zu finden. Doch weit gefehlt: Es stammt von der Ferschl Maria, und die wiederum stammt aus Österreich. Und hat da auch ihr ganzes Leben lang ... äh … gelebt. Also, wie's dann dod wor, hot's freilich nimmer glebt.

Freuts Eich ihr Christen!
Geeh, jetzt freut's Euch halt.
Freut's Eich a bissl mäa,

schon ist noh der Häa!


Und er bringt an Topfenpalatschinken mit Schlagobers mit!

Dienstag, 22. Oktober 2013

Beim Slam: Die Familie Gei

Also, ich war ja da. Interessant, das mal mitgemacht zu haben. Gewonnen hab ich nicht, ich war schließlich auch an Startnummer 1. Und der Gewinner hatte auch mehr Lacher, bessere Bühnenpräsenz, sein Text hat besser zum Format gepasst - und das muss man dann auch einfach mal neidvoll anerkennen. Damit Ihr das beurteilen könnt, hier ein Teil meines Textes:

Die Familie Gei

Der Papagei spricht alles nach,
die selben Sätze, Tach für Tach.
Er kann nur 3 - 7 Phrasen
und sagt sie dann in allen Phasen.
"Polly möchte einen Kräcker!"
- das geht dann ganz schön auf den Wecker.
Und noch so manchen andern Scheiß,
Kram, den wirklich jeder weiß:
"Ja, das hast du fein gemacht!"
"Kuck mal, wie das Mäuschen lacht!"
Er kann echt niemal innehalten,
und ist nur mühsam auszuhalten.

Die Mamagei, die sorgt nun aber
auf andre Weise für Gelaber.
Auch das kriegt man nicht aus dem Ohr:
die Mama Gei spricht alles vor:
"Kuck, wie du den Löfel hältst!"
""Vorsicht, dass du ja nicht fällst!"
"Sag Danke!" und "Sag Guten Tag!"
So geht das Tag für Tag.
Für Tag.
Für Tag.

Das Kindergei ist meistens still,
auch denn, wen man was wissen will.
Wenn man es will, wird nichts gesagt,
es spricht nur, wenn man es nicht fragt:
"Na, wie war's denn eut beim Geigen?"
Grabesstille. Langes Schweigen.
Fragt man es "Was willst du Essen?",
hat's die Frage schon vergessen,
bevor man sie nur ausgesprochen.
So geht das manchmal über Wochen.

Doch alles, was nicht interessiert,
bekommt man siedendheiß serviert:
"Soll ich zeigen, was ich kann?"
Nein. Egal, es fängt schon an,
komisch durch den Raum zu gehen;
niemand will das wirklich sehen.
Wir tun nur so - kaum zu verstehen.

Das Babygei ist immer ruhig.
Es schläft ja auch schon durch.

Freitag, 11. Oktober 2013

Ein Gedicht!

Muss mich ja langsam mal Warmlaufen für den Poetry Slam. Auch wenn da meistens Prosa vorgetragen wird, zumindest war das so, als ich beim letztem Mal mir das mal ankuckte. (Und dabei schon tierisch nervös und aufgeregt war.)

Also:

Kurzes Gedicht, die Beschwerden um die Verschlimmerung der Deutschen Sprache unter Berücksichtigung der unumgänglichen Wandelbarkeit von Sprache als Zeichensystem kommentierend:


Ich, du, er sieht es:
Wirr irren sie.

Das war's auch schon. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Ich weiß nicht, ob es wem aufgefallen ist: Ich habe mir eine Pause genommen und weniger gebloggt. Das hat mir Spaß gemacht. Angesichts der Tatsache, dass hier eh keiner zukuckt, werd ich das wohl öfter tun.

Donnerstag, 20. Juni 2013

Gedichtreparaturwerkstatt: Guten Abend, gute Nacht


Die Vertonung ist von Brahms, die 1. Strophe aus Des Knaben Wunderhorn - und trotzdem hat es mir als Kleinkind immer eiskalte Angstschauer den Rücken hinuntergejagt:

Guten Abend, gut' Nacht
Mit Rosen bedacht
Mit Näglein besteckt
Schlüpf unter die Deck'
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt
Morgen früh, wenn Gott will
Wirst du wieder geweckt


Axel Hackes Neger Wumbaba können wir entnehmen, dass andere Kinder still im Bett ihren Horrorvorstellungen hingaben, weil ihre Eltern ihnen vorträllerten, dass sie gleich morgen früh wieder gewürgt werden. Von den Nägeln, die einem eingesteckt werden sollen, ganz zu schweigen.

Mir persönlich hat Angst gemacht, dass Gott sich anscheinend noch überlegen muss, ob ich überhaupt wieder aufwache oder einfach im Schlaf sterbe wie mein Opa. Jeden Morgen überlegt er sich von neuem: Na, abkratzen lassen oder nicht?

Warum sollte der mich auch am Leben lassen? Ich wär' ja nicht sein erstes Opfer gewesen. Die Geschichte, wie Jahwe fast die ganze Menschheit ersäuft hat, erzählen sie ja auch heute immer noch ganz begeistert. Als wenn das was wär', auf das man stolz sein könnte!

Darum hier eine, nein zwei kinderfreundliche Neudichtungen, die irgendwie besser sind. (Sicherlich würden diese nicht von der preußischen Regierung für den Schulunterricht besonders empfohlen, aber mal ehrlich: das bedeutet nur Gutes.)

Guten Abend, gute Nacht,
von Matrosen bewacht,
mit Nägeln voll Dreck
schläfst du heute unter Deck.
Morgen früh, wenn Gott will,
spielst du wieder Versteck.
Morgen früh, wenn Gott will,
spielst du wieder Versteck.


Guten Abend, gute Nacht,
heut' wurd' Pizza gemacht,
mit Nelken gespickt
ist die Ente in Aspik.
Morgen früh, wenn Gott will,
gibt es Hähnchen vom Grill.
Morgen früh, wenn Gott will,
gibt es Hähnchen vom Grill.

Donnerstag, 21. März 2013

Gedichtreparatur: Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt

Einer der großartigsten Dichter deutscher Zunge war zweifelsohne Christian Morgenstern (allein der Name ist ja schon äußerst paradox, aber schon sein Großvater hieß so, es muss also stimmen. Ich tippe mal auf zum Christentum übergetretene Juden), und eines seiner beliebtesten Gedichte ist "Wie sich das Galgenkind die Monatsnamen merkt". Die Idee ist ebenso einfach wie hübsch, und es fängt auch unglaublich schmissig an:

Jaguar 
Zebra
Nerz
Mandrill

aber danach versäuft es irgendwie:

Maikäfer (naja!)
Pony
Muli
Auerochs (mit gutem Willen)

anschließend wird es völlig abstrus:

Wespenbär
Locktauber
Robbenbär
Zehenbär

Die letzten vier gibt es alle nicht in echt, was ja den Charme des Anfangs ausmachte. Nun gut, es gibt Seebären, die zu den Ohrenrobben zählen. Aber so oder so klingt das ja noch nicht mal ähnlich.

Ursachenforschung

Das poetische Problem ist augenscheinlich, dass die Monatsnamen gegen Ende des Jahres immer länger und fremdsprachiger werden.

Wörter schleifen sich mit der Zeit im Gebrauch ab: etwas so altes wie gebackener Teig aus gemahlenen Weizenkörnern und Wasser heißt einfach nur Brot. Etwas so neues wie eine Bescheinigung, dass der Arzt die ärztliche Schweigepflicht zwecks Auskunft gegenüber Dritten, z. B. der Krankenkasse, brechen darf, lautet Schweigepflichtentbindungserklärung.

So ist das auch mit den Monatsnamen. Die am Anfang des Jahres sind noch älter und darum kürzer.

Nun denn:

Die ersten vier lassen wir so, wie sie sind, die sind super.


Warum Morgenstern nicht auf Hai gekommen ist, ist ein Rätsel - vielleicht sagte man damals nur Haifisch. Pony und Muli sind wieder erstklassig, Auerochs hingegen muss man falsch betonen, Au'róchs. Bessere Alternativen wären Languste oder Manguste, wenn man Schummeln möchte, Langust' bzw. Mangust'.
Zebramanguste - da hätte die "Kommission
für die richtige Abfolge der Monatsnamen" ruhig
etwas kooperativer sein können!

Dann wird's wirklich schwer. Ein weiteres Problem ist, dass der Witz schon am Anfang klar ist und man leider nur noch versuchen kann, einigermaßen das Niveau zu halten und das Gedicht anständig nach Hause zu bringen:

Jaguar
Zebra
Nerz
Mandrill
Hai
Pony
Muli
Languste
Seebär
Oktopus
Wombat
Zimtbär
Der Zimtbär. Ehrlich wahr!
Rausgeflogen sind: Bergtapir, Labkrautbär, Nasenbär, Vampir und Ohrwürmer.





Mittwoch, 7. März 2012

62 Dinge, die sie einmal berührt hat

Mein Hand. Eine Serviette. Diesen Aschenbecher. Ein Weinglas. 
Meine Wange. Ihre Haare. Meine Schulter. Meinen rechten Arm.
Meine Brust. Meinen Bauch, meine Oberschenkel. Raganan.
Meine Haare. Mein Kopfkissen und meine Bettdecke. Mein Laken. 

Meine Zahnbürste, mein Shampoo. Mein Handtuch. Mein Hemd. 
Unsere Koffer. Unsere Tickets. Las pesetas. Diese Photos. 
Diese Vorhänge. Unsere Lampe. Unsere Bücher. Unsere Wohnzimmercouch. 
Unseren Esstisch. Die Knoblauchpresse. Die Grappaflaschen. Den Julienneschneider. 

Die Tischdecke. Den Topfschwamm. Den Staubsauger. Die Geschirrspülmaschine. 
Die Wäscheleine. Unsere Bettdecken, meine Hemden. Das Bügeleisen. 
Die Fernsehcouch. Die Zahnpastatube. Die Duschwanne. Meine Haare.

Unsere Kontoauszüge. Das Tranchiermesser und die Badezimmertür. Das Telephon. 
Ihre Bücher. Ihre Lampe. Ihre Koffer, meine Schlüssel. 
Ihre Schuhe. Ihre Jacke. Meine Hand. Die Türklinke. 

So, immer muss man ja was posten, damit die Leute weiter klicken. Und da alle aktuellen Ideen zu lange dauern, kram' ich halt alte Gedichte aus der Schublade, die ich für die Mappe verwenden will - nicht, dass irgendwer Gedichte kaufen würde, aber ich find's technisch ganz gut. Erzählt eine Geschichte nur mit Substantive, Artikeln und Possessivpronomen. In Sonettform. Und ganz ohne autobiographischen Hintergrund!